Fünf Fragen an…

Ann-Katrin Adams, M.A., Alternde Gesellschaften und Doktorandin im Frankfurter Forum für interdisziplinäre Alternsforschung (FFIA) mit dem Thema „MIA – Museumsbasierte Interventionsangebote für Menschen mit Demenz. Entwicklung eines Leitfadens“

Nach einem Bachelor in Kunstgeschichte und Erziehungswissenschaften, beendete Ann-Katrin Adams ihren Master im Studiengang Alternde Gesellschaften. Während ihres Studiums war sie studentische Mitarbeiterin im Museum Situation Kunst für Max Imdahl, wo sie u.a. Führungen übernahm, museumspädagogische Programme organisierte und durchführte und beim Ausstellungsaufbau mitarbeitete. Sie absolvierte zudem ein studentisches Volontariat im Bereich Marketing beim LWL-Industriemuseum in Dortmund. Darüber hinaus konnte sie während eines Praktikums beim „kubia – Kompetenzzentrum für Kultur und Bildung im Alter“ in Remscheid wertvolle Erfahrungen sammeln.

Frage 1: Frau Adams, Ihr Dissertationsthema „MIA – Museumsbasierte Interventionsangebote für Menschen mit Demenz“ basiert auf dem Projekt ARTEMIS, das sich im Städel Museum Frankfurt mit Angeboten für Demenzerkrankte beschäftigt. Können Sie das Projekt beschreiben, seine Entstehungsgeschichte anreißen und vor allem seine Erfolge formulieren?

ARTEMIS steht für „Art Encounters – Museum Intervention Study“ und ist ein Kooperationsprojekt von WissenschaftlerInnen des Arbeitsbereichs Altersmedizin des Instituts für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt am Main und dem Städel Museum in Frankfurt. Seit 2014 werden Kunstführungen für kleine Gruppen, die sich aus Menschen mit Demenz und ihren pflegenden Angehörigen zusammensetzen, angeboten. Die Gruppen bekommen – verteilt über sechs Wochen – insgesamt sechs Führungen von je ca. einer Stunde, anschließend arbeiten sie kreativ im Atelier des Städel Museums zum Thema der Führung. Die Führungen haben jeweils ein Oberthema: So gibt es beispielsweise das Thema Frankfurt am Main, zu dem unter anderem Werke von Gustave Courbet und Max Beckmann gezeigt werden, die Ansichten von Frankfurt zeigen. Anschließend werden im Atelier Frankfurt-Collagen aus Zeitungsbildern und ausgedruckten Reproduktionen der besprochenen Werke erstellt. Ein anderes Thema ist z.B. Portrait, hier werden Werke von Botticelli bis Ludwig Kirchner vorgestellt, die – aus verschiedenen Epochen und Stilen stammend – verschiedene Sichtweisen auf das menschliche Gesicht zeigen. Anschließend werden aus Ton menschliche Gesichter gefertigt.

Die Führungen werden wissenschaftlich von Mitarbeitenden des Instituts für Allgemeinmedizin (Arbeitsbereich Altersmedizin) der Goethe-Universität Frankfurt begleitet. Sie befragen vor, während und nach den sechs Führungen die Angehörigen zu ihrer Einschätzung von Fähigkeiten und Wohlbefinden ihres an Demenz erkrankten Angehörigen. Auch die Betroffenen selbst werden zu ihrem emotionalen Befinden befragt. Ziel von ARTEMIS ist es, einen positiven Effekt der Museumsbesuche, sowohl für die Menschen mit Demenz, als auch für die Beziehung von Angehörigen und Demenzerkrankten sowie für das pflegebezogene Belastungsempfinden der Angehörigen nachzuweisen. Die Datenauswertung findet zurzeit statt. Erfolge haben sich aber schon in verschiedener Form, vor allem durch die Aussagen der Angehörigen, gezeigt; zum Beispiel wurde berichtet, dass die Menschen mit Demenz nach den Führungen kommunikativer sind als zuvor, dass sie sich auf die Führungen freuen, oder dass sie während der Führungen Dinge sagen oder malen, die bereits vergessen geglaubt waren.

Frage 2: Das Angebot im Städel Museum Frankfurt bezieht sich auf seine eigene Sammlung – also auf Kunstwerke. Außerdem hat das Städel Museum Frankfurt mehr personelle wie finanzielle Ressourcen als viele andere Häuser. Wie lassen sich die Erfahrungen auf andere Museumssparten übertragen – auch im Hinblick auf Inhalt und Organisation?

Essentiell bei dem kunstbasierten Angebot für Menschen mit Demenz ist die Möglichkeit, durch die Kunstwerke eine Anknüpfung an die eigene Lebenswelt zu ermöglichen, aber auch einen Raum zu schaffen, in dem es kein Richtig oder Falsch gibt. Kunst lässt, da sie oft uneindeutig ist, Raum zum Interpretieren und auch Fantasieren.

Das beinhaltet auch, dass pflegende Angehörige ihren demenzerkrankten Partnern, Eltern o.ä. anders begegnen können, nämlich nicht an Defiziten orientiert, sondern auf Augenhöhe. Museen mit anderen thematischen Schwerpunkten können aber auch genauso anregende Angebote entwickeln, indem sie beispielsweise einen Zugang zur Vergangenheit eröffnen (zum Beispiel Museen für Stadt-/Regionalgeschichte, Industriegeschichte oder Kunsthandwerk). Indem man sich über die alten Zeiten austauscht, kann ein Gefühl der Zugehörigkeit, der Teilhabe erzeugt werden, das dazu ermutigt, sich auch mit der eigenen Biografie zu befassen. Hier liegt es vor allem an den MuseumsmitarbeiterInnen eine vertrauensvolle und anregende Atmosphäre zu erzeugen und auf die Bedürfnisse der BesucherInnen zu achten. Grundsätzlich können in allen Museumssparten zielgruppengerechte und für alle Seiten fruchtbare Angebote ins Leben gerufen werden.

Es ist sinnvoll, die MitarbeiterInnen für die Angebote speziell zu schulen, zum Beispiel in Form von Workshops. Es gibt bereits einige Museen und Institute, die diese Schulungen anbieten. Je nach finanziellen Ressourcen des Museums können dies ausgewählte MitarbeiterInnen sein, die sich für die Arbeit mit Menschen mit Demenz besonders interessieren. Das Angebot ließe sich als buchbares Angebot (auf Anfrage) realisieren, wie andere Gruppenführungen auch.

Es gibt natürlich einige organisatorische Aspekte zu beachten, wie möglichst wenige Barrieren in Bauweise und Ausstellungsgestaltung, Sitzgelegenheiten und genügend große Räume um auch Menschen im Rollstuhl die Möglichkeit zu geben, sich sicher im Raum zu bewegen. Darüber hinaus sollte evtl. eine Uhrzeit gewählt werden, zu der wenig Besucherverkehr ist, damit die Betroffenen nicht von Enge und Geräuschkulisse überfordert werden.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Angebote zu finanzieren – entweder wird das Angebot durch Sponsoren, Projektgelder etc. gefördert, oder die TeilnehmerInnen zahlen den normalen Führungspreis. Es könnten beispielsweise auch soziale Träger oder Wohneinrichtungen als Kooperationspartner gewonnen werden.

Frage 3: Sie sind gerade dabei, sämtliche Angebote an deutschen Museen zu recherchieren. Können Sie eine Zwischenbilanz ziehen? Wie breit gefächert ist das Angebot? Sind Sie auf ein besonders positives – oder auch negatives – Beispiel für den Umgang mit Demenzkranken im Museum gestoßen?

Eine Zwischenbilanz ist, dass sich in diesem Feld momentan sehr viel entwickelt. Bei meinen Recherchen bin ich auf eine ganze Reihe von Museen gestoßen, die derzeit planen, ein Angebot für Menschen mit Demenz einzuführen. Gleichzeitig gibt es eine gewisse Unsicherheit darüber, wie diese Angebote am besten zu organisieren und durchzuführen sind. An diesem Punkt setzt meine Dissertation an. Es gibt bereits eine Reihe verschiedener Angebote; die meisten Museen bieten buchbare Führungen an, einige auch öffentliche. In einigen Museen werden die Führungen auch mit Kreativarbeit kombiniert, oder anhand von Exponaten einen Erzählnachmittag o.ä. veranstalten. Und dann gibt es natürlich noch den Museumskoffer, ein aufsuchendes Angebot: MuseumsmitarbeiterInnen gehen damit in Wohneinrichtungen und machen Museumsarbeit vor Ort.

Ein einzelnes positives bzw. negatives Beispiel kann ich nicht nennen, da dies den Angeboten nicht gerecht werden würde. Die Herangehensweise ist da sehr unterschiedlich. Es gibt einige Museen, die bereits seit mehreren Jahren Angebote für Demenzkranke haben und dadurch auch in gewisser Weise eine Vorreiterposition für andere Museen haben. Vor allem das Lehmbruck-Museum in Duisburg ist hier zu nennen, bereits seit dem Jahr 2007 finden hier Führungen für Menschen mit Demenz statt. Aber auch die Kunsthalle Bielefeld, das MartA in Herford und die Kunsthalle Bremen führen seit mehreren Jahren sehr erfolgreiche Angebote durch, dies sind nur einige Beispiele. Es gibt auch einige kleinere Museen, die keine expliziten Führungen für Menschen mit Demenz anbieten, sondern Menschen mit Demenz in den normalen Museumsalltag „integrieren“. So sagte mir beispielsweise ein Museumspädagoge, dass in seinem Museum, ein Industriemuseum, viele Seniorengruppen kämen und dass da oft Menschen mit Demenz dabei wären. Er passt sich dann intuitiv der Gruppe an und schaut in jeder Situation, was er zeigen und erzählen kann und was die TeilnehmerInnen ggf. überfordert. Auch das ist ein interessanter Ansatz.

Frage 4: Wie schätzen Sie die derzeitige Entwicklung von Seniorenprogrammen, insbesondere solcher für Demenzkranke, in deutschen Museen ein? Auch, wenn ein „Mehr“ an Angeboten zu verzeichnen ist, haben sie auch einen „Mehrwert“ für die Betroffenen?

Das kommt darauf an, wie man einen Mehrwert definiert. Aus museumspädagogischer, oder auch aus schulischer Perspektive wäre ein Mehrwert vielleicht ein Kenntnisgewinn beziehungsweise ein Lernprozess auf Seiten der TeilnehmerInnen. Diesem Anspruch dürfen Angebote für Menschen mit Demenz aber nicht unterliegen. Wenn es hingegen darum geht, die Sinne anzuregen und soziale sowie kulturelle Teilhabe zu ermöglichen, so denke ich, haben die Angebote einen ganz deutlichen Mehrwert. Von Seiten der Museen ist es natürlich einerseits wichtig, auf gesellschaftliche Entwicklungen und neue Zielgruppen zu reagieren. Nicht nur die Zahl der BesucherInnen kann und soll hierdurch erhöht werden, auch die Rolle des Museums in der Gesellschaft verändert sich ja bereits. Das Museum kann sich als Ort sozialer Begegnung etablieren, den Kontakt zur Gesellschaft stärken, eventuell auch Barrieren abbauen, indem es Menschen in das Museum bringt, die mit gesellschaftlichen Defizitzuschreibungen zu kämpfen haben und sich vielleicht selbst keinen Museumsbesuch mehr zutrauen. Es ist sehr sinnvoll und auch ein Zeichen von Wertschätzung, diesen Menschen eine schöne Zeit im Museum zu ermöglichen, das von ihnen Gesagte ernst zu nehmen und auch den Austausch untereinander zu fördern. Auch die Sicht der Kunstvermittler und der Institution Museum auf die eigenen Werke kann sich durch diesen Austausch verändern, dies ist ein Gewinn für die Museen.

Frage 5: Ziel Ihrer Dissertation ist ein Handbuch/ein Leitfaden, mit dem Museen neue Programme entwickeln oder bestehende Programme auf ihre Qualität hin prüfen können. Inwiefern gehen Sie auf das Bestreben der Museen ein, inklusiv und barrierefrei zu sein/zu werden – auch für ältere Menschen und Menschen mit (beginnender) Demenz – ein?

Das Handbuch steht am Ende meiner Dissertation, daher beginne ich gerade erst damit. Im Bereich der Barrierefreiheit ist ja in den letzten Jahren bereits viel passiert, gerade Umbauten und Neueröffnungen richten sich mittlerweile oftmals nach den Standards der Barrierefreiheit – auch wenn hier sicher eine konsequentere Umsetzung wünschenswert wäre. Da Menschen mit Demenz oftmals auch in ihrer Mobilität eingeschränkt sind und/oder Seh- oder Hörbeeinträchtigungen haben, ist zumindest eine barrierearme Gestaltung des Museums sinnvoll. Dazu kommt es aber auch immer auf die Vermittlungsarbeit des Besucherbegleiters an. Angebote für Menschen mit Demenz sollen in dem Handbuch nicht isoliert vom restlichen Museumsalltag betrachtet werden. Natürlich gibt es Überschneidungen und es gibt auch viele Aspekte, die für jede andere Form von Führung ebenso sinnvoll sind. Auch Führungen, die sich nicht ausschließlich auf Menschen mit Demenz beziehen, sondern für alle BesucherInnen offen sind, sind ein interessantes Modell. Daher ist auch das Schlagwort inklusiv nicht von meinem Promotionsthema zu trennen, wenn es auch nicht der Hauptaspekt meiner Arbeit ist.

Im Namen des Netzwerk-Teams danke ich sehr herzlich für das Gespräch und wünsche Ihnen viel Erfolg und alles Gute.

 

Beitragsbild: „Old Photos“ von jarmoluk. Quelle: Pixabay.

3 thoughts on “Fünf Fragen an: Ann-Katrin Adams, M.A.”

  1. Hallo Herr Schlecht,
    vielen Dank, für den interessanten Verweis.
    Ihr offener Brief bestätigt ja im Grunde die Aussagen von Frau Adams. Die Förderung der Kompetenzen im Umgang mit an Demenz erkrankten Personen ist eine schwierige Thematik, der selbstverständlich kein Museum allein gewachsen ist. Die Zusammenarbeit mit qualifizierten Stellen und Personen ist die Grundvoraussetzung für das Gelingen eines solchen Vermittlungsprogramms.
    Mit freundlichen Grüßen.

    1. „An vielen Orten engagieren sich Ehrenamtliche: Sie spielen Theater mit
      Demenz Kranken oder gehen mit ihnen ins Museum und ins Konzert wie
      beim Stuttgarter Verein „RosenResli“. Das sind gute Anfänge. Aber
      ein flächendeckendes bürgerschaftliches Engagement ist noch nicht
      erkennbar.
      (Spiegel Wissen, 1/2010 / „Die Reise ins Vergessen)“

      RosenResli nimmt Menschen mit Demenz auf den Weg. Verlassen gemeinsam mit Angehörigen oder Helfern das Haus und machen in Kultur. Mit der U-Bahn ins Museum, Theater, Varieté, zum Gottesdienst, in den Sinnesgarten und noch viel mehr. Für Menschen mit Demenz ist das eine Fahrt ins Blaue, ein Abenteuer, denn Sie wissen nicht was Sie erwartet.
      Erstmal am Ziel angekommen ist die Freude groß, denn jetzt ist viel Zeit für Erinnerungen, Poesie, Melancholie, Gesprächen , mit Worten oder „Händen und Füßen“ und viel Emotionen. Und wenn die „sprachlosen“ Menschen, die den „Verstand“ verloren haben, beim Kontakt mit der Kultur sehr emotional wieder ins Gespräch kommen, dann sind die Menschen glücklich angekommen – im HIER und Jetzt

      Kultur für Menschen mit Demenz – macht das Sinn ?
      Wissenschaftler sagen ja.
      in Studien konnte Prof. Dr. Dr. Andreas Kruse verbesserte
      psychobiologische und neurobiologische Prozesse beobachten, die mit einer
      kognitiven und emotionalen Aktivierung einhergingen, wie es zum Beispiel
      beim intensiven Hören eines Musikstücks, beim Lesen eines Textes oder
      Betrachten eines Bildes der Fall sein kann.

      Was macht „ RosenResli“
      schöpft so bestehende kulturelle Ressourcen in der Kulturlandschaft
      und unterstützt engagierte Partner der Wohlfahrtsverbände, die
      Träger der Pflegeheime und die Kirchen. „ RosenResli “ organisiert und
      konzipiert dazu ein Programm, z.B.: Museum, Konzert,
      aber auchGottesdienste, Varieté,wieder neu Oper, ganz Chöre werden von
      Menschen mit Demenz besucht.

      Uns geht es dabei nicht um Therapie. Demenz kann man nicht therapieren. RosenResli will deshalb, daß den Menschen mit Demenz, der Zugang zur Kultur weit geöffnet wird., um Kultur zu erleben, mit allen Sinnen.
      „Open House“ nennen wir das. „Open House“ nicht nur für Bildungsbürger.
      In den vergangenen Jahren kamen über 80% der Besucher, die noch nie in ihrem Leben ein Konzert, Oper oder Museum besucht haben.

      Seit diesem Jahr, legen wir großen Wert auf die Einbeziehung der Angehörigen. Die Chancen einer Verbesserung der Kommunikation
      zwischen den Betroffenen und den Angehörigen, machen diesen Ansatz sinnvoll.
      Gemeinsam Kultur erleben ist mehr als eine Freizeitbeschäftigung.
      Wir unterstützen die Angehörigen mit Workshops, die zum Ziel haben, in Zukunft eben auch deren Alltag besser zu meistern. Konflikte, Aggressionen, häusliche Gewalt vermeiden durch verbesserte Kommunikation im Sinne von „Validation“ (beim Bildungszentrum Wohlfahrtswerk).

      Soweit ein kleiner Ausschnitt
      Und eh ich’s vergesse, wir arbeiten nicht gegen das Vergessen.
      Wir schenken unseren Besuchern immer wieder ein kleines Stück
      (Er)-Leben im Hier und Jetzt, schaffen Raum für den Augenblick
      In der Gegenwart. Denn die ist ein Geschenk, so man keine
      Zukunft mehr hat. Der Schlüssel dorthin ist die unzensierte Emotion,
      wenn der Verstand nach und nach verschwindet.

      Die Demenz ist kein schleichender Tod, mit Demenz endet nicht das Leben oder wie schon 1992 Stephanovic sagte: „Lebbe geht weider“,

      Danke für Ihre Aufmerksamkeit

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