Ist der Wahnsinn systemisch?
Auf der Website des Deutschen Museumsbundes fallen mir immer wieder angebotene Volontariate auf, deren Aufgabeninhalte bei weitem die Ansprüche eines Volontariates übersteigen. Einen besonders absurden Fall würde ich gerne hier teilen, aufgrund der gewaltigen Anforderungen ist der Text etwas länger:
XYZ[1] ist einer der spannendsten und buntesten Bezirke ABCs. Die Vielfalt XYZs spiegelt sich in seinen Einwohnern aus mehr als 180 Nationen wider. Die Beschäftigten des Bezirksamtes stellen sich tagtäglich anspruchsvollen Herausforderungen mit einer in ABC einzigartigen Bandbreite an interessanten und abwechslungsreichen Tätigkeitsfeldern. Ein Job im Bezirksamt XYZ ist ein wertvoller und unverzichtbarer Dienst für die Gemeinschaft aller XYZer Bürgerinnen und Bürger. Für diese Herausforderung suchen wir engagierte und leistungsfähige Kolleginnen und Kollegen, die sich den Aufgaben des Bezirkes XYZ stellen möchten.
Als innovativer und zukunftsorientierter Arbeitgeber bieten wir Ihnen eine individuelle Förderung und berufliche und persönliche Entwicklungschancen und Perspektiven. Als erfolgreicher Arbeitgeber wurde das Bezirksamt XYZ bereits mehrfach ausgezeichnet: mit dem Ausbildungspreis für sein umfangreiches Engagement und Angebot im Bereich der Ausbildung sowie mit dem „Health Award“ und dem „Deutschen Unternehmenspreis Gesundheit“ für die enge und innovative Verzahnung von Gesundheitsmanagement, Personalentwicklung und Arbeitsschutz.
Tarifliche Eingruppierung: 50 % des Anfangsentgeltes der
Entgeltgruppe 13 TV-L gemäß den Richtlinien über die Beschäftigung und die Festsetzung von Entgelten für nichttariflich geregelte
Praktikantinnen und Praktikanten sowie für Volontärinnen und Volontäre (Praktika-Richtlinien) vom 15. November 2016Besetzbar: Ab sofort, befristet für 2 Jahre
(2 Stellen) Kennzahl: XXXXXXXXXArbeitsgebiet: Volontär/in für das Museum XYZ im FB Kultur der Abteilung Bildung, Schule, Kultur und Sport
1) Ausstellungskonzeption
• Wissenschaftliche Recherche zur Ausstellungsvorbereitung Feldforschung durch Interviews und Objektakquise Kuratieren von Ausstellungen
• Mitwirkung an der Entwicklung eines Leitthemas und einer Ausstellungs-konzeption
• Projektplanung und -steuerung
• Verfassen von Ausstellungstexten
• Verfassen von Katalogtexten
• Entwicklung von Präsentationsformen
• Organisation von Ausstellungen, die durch Dritte kuratiert werden
• Organisation von Ausstellungseröffnungen
• Organisation von Begleitveranstaltungen / Führungen durch die Ausstellungen
• Redaktion von Ausstellungskatalogen2) Vermittlung und kulturelle Bildung
• Konzeption von ausstellungsbegleitenden Veranstaltungen, Workshops und Lehrerfortbildungen
• Erarbeiten und Durchführen von dialogischen zielgruppenorientierten Themenführungen
• Entwicklung von zielgruppenorientierten Angeboten für Schulen, Deutsch- und Integrationskurse, kulturelle Vereine und sonstige Gruppen3) Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
• Entwerfen von Pressemitteilungen
• Betreuung der grafischen Gestaltung, Redaktion und Produktion von Werbemitteln wie Einladungskarten und Plakate
• Betreuung von Social Media
• Aktualisierung der Website4) Archiv und Depot des Museums
• Inventarisierung von Objekten
• Datenbankpflege
• Erarbeitung/Pflege von Findmitteln
• Bearbeitung von Archivanfragen
• Betreuung von Archivnutzern
• Organisation von Leihverkehr
• Lagerung von Objekten
• DigitalisierungAnforderungen:
Formale Voraussetzungen
Universitäts/Hochschulabschluss (Master/ Magister) im Fach Europäische Ethnologie oder Public History als Hauptfach (Abschluss nicht älter als 5 Jahre; Abschlussnote mindestens 1,8) und eine nachgewiesene Tätigkeit und/oder Praktika in einem historischen oder kulturgeschichtlichen Museum von insgesamt mindestens 4 Monaten.Fachliche Kompetenzen
Unabdingbar sind:
gute Englischkenntnisse (Abschlussnote Abitur mindestens 2)
Praxiserfahrung bei der Konzeption und Organisation von mindestens einer Ausstellung im Bereich Sozial- oder Kulturgeschichte
Fundierte Kenntnisse des aktuellen Diskurses im Bereich Erinnerungskultur
Nachgewiesene Tätigkeit und/oder Praktika in einem historischen oder kulturgeschichtlichen Museum von insgesamt mindestens 4 MonatenSehr wichtig sind:
Mindestens eine Veröffentlichung im Bereich Sozial- oder Kulturgeschichte
Fundierte Kenntnisse der Sozial- und Kulturgeschichte ABC im 19. und 20. Jahrhundert (Studienschwerpunkt)Wichtig sind:
Kenntnisse einer weiteren Fremdsprache
Gute PC-Anwenderkenntnisse
notwendig sind
Kenntnisse im Umgang mit Social Media
Kenntnisse im Umgang mit AV-MedienAußerfachliche Kompetenzen
Für die Wahrnehmung des Aufgabengebietes sind folgende Kompetenzen unabdingbar:
die Fähigkeit zum selbständigen Arbeiten, also die für den Aufgabenbereich wichtigen Prioritäten setzen können, eigeninitiatives Arbeiten sowie eigene Ideen entwickeln und umsetzen können
ein hohes Engagement
sehr gute schriftliche und mündliche Ausdrucksfähigkeit
sehr Kommunikations-, Kritik-, Konflikt- und Teamfähigkeit
sowie eine gute interkulturelle Kompetenz, also die Fähigkeit, die spezifischen Konzepte der Wahrnehmung, des Denkens, Fühlens und Handelns anderer Kulturen mit in das eigene Handlungsmuster einbeziehenSehr wichtig sind:
eine hohe Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit, gute Organisationsfähigkeit, sowie die Fähigkeit des wirtschaftlichen Handelns
weiterhin sehr wichtig ist eine gute Entscheidungsfähigkeit, hohe Flexibilität und Innovationsfähigkeit sowie eine sehr gute Dienstleistungsorientierung.Das Anforderungsprofil ist Bestandteil der Stellenausschreibung und ist beigefügt. Es gibt detailliert wieder, welche fachlichen und außerfachlichen Kompetenzen die Stelle erfordert. Es ist die Grundlage für die Auswahlentscheidung.
Fühlen Sie sich angesprochen? Bei Interesse bewerben Sie sich bitte innerhalb der angegebenen Bewerbungsfrist unter Angabe der Kennzahl online unter untenstehenden Link über das Karriereportal, der zentralen Bewerbungsplattform der ABCer Verwaltung. Bewerbungen per Post oder Mail werden ebenfalls berücksichtigt. Bei Fragen oder Problemen stehen wir Ihnen im Zentralen Bewerbungsbüro gern zur Seite!
Im Zusammenhang mit der Durchführung des Auswahlverfahrens und ggf. der Einstellung werden die Daten der Bewerberinnen und Bewerber elektronisch gespeichert und verarbeitet [gem. § 6 BlnDSG]. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht.
Der Bewerbung ist beizufügen: Ein Bewerbungsschreiben mit einem ausführlichen Lebenslauf sowie bis zu drei Arbeitszeugnisse (das neueste nicht älter als 1 Jahr). Bewerberinnen und Bewerber aus dem öffentlichen Dienst fügen zudem bitte eine Einverständniserklärung zur Einsichtnahme in die Personalakte bei.
Qualifikationen, Bildungsabschlüsse oder Berufserfahrungen können nur dann Berücksichtigung finden, soweit diese auch mit Nachweisen belegt werden; unabhängig von der Abforderung einer Personalakte durch die ausschreibende Dienststelle.
Bitte fügen Sie Ihrem Abschlusszeugnis, falls vorhanden, das Diploma Supplement sowie die Modulübersicht bei.
Bei im Ausland erworbenen Studienabschlüssen ist ein Nachweis über seine Anerkennung und eine beglaubigte Übersetzung beizufügen.
Hinweise
Das Bezirksamt XYZ von ABC ist bestrebt, bestehende Unterrepräsentanzen von sowohl Frauen als auch Männern abzubauen und wird dies bei der Personalauswahl berücksichtigen.
Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund, die die Einstellungsvoraussetzungen erfüllen, sind ausdrücklich erwünscht.Anerkannt schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber werden bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt.
Aus Kostengründen können Bewerbungsunterlagen nur per Fachpost oder Freiumschlag zurückgesandt werden.
Kosten, die den Bewerberinnen und Bewerbern im Zusammenhang mit ihrer Bewerbung entstehen (Fahrtkosten o. Ä.), können nicht erstattet werden.
Vergleichen wir die Stellenbeschreibung einmal mit der Definition „Volontariat“, wie wir sie im Lexikon oder auf die Schnelle auf Wikipedia finden können:
„Unter Volontariat versteht man im allgemeinen Sinn einen freiwilligen, zeitlich beschränkten Einsatz in einer Institution oder Organisation (vgl. Freiwilligendienst). Im spezifischen Sinn ist mit diesem Begriff auch eine im Gegensatz zur Lehre gesetzlich nicht genau geregelte Ausbildung gemeint. Diese findet hauptsächlich im karitativen und kaufmännischen Bereich, in der öffentlichen Verwaltung und zur Berufsvorbereitung oder Weiterbildung Anwendung. Im Journalismus werden dagegen Auszubildende generell als Volontäre bezeichnet. Es dauert je nach Vorbildung und/oder Eignung zwischen zwölf und 24 Monaten.“
Quelle: Wikipedia, Stichwort: Volontariat. Abgerufen am 06.04.2017.
Es handelt sich also um ein Aus- bzw. Weiterbildungsverhältnis. Prüfen wir noch einmal die anlassgebende Ausschreibung müssen wir feststellen, dass mit keinem Wort von einer Aus- oder Weiterbildung gesprochen wird. Ganz im Gegenteil, die Ausschreibung fordert Eigeninitiative und selbstständiges Arbeiten (was in gewissem Maße natürlich in jedem Volontariat verlangt werden muss), kein Wort fällt allerdings über die angebotene Ausbildung.
Noch interessanter sind die vier genannten Aufgabenschwerpunkte. Unter 1) Ausstellungskonzeption werden tatsächlich alle Inhalte abverlangt, die eine Ausstellung ausmachen. Vom ursprünglichen Konzipieren, Akquirieren und Gestalten der Ausstellung, inkl. Aufbau, bis hin zu Besucherführungen und der Redaktion des Ausstellungskataloges fällt wirklich alles in die Verantwortung der Volontäre. Selbst das Kuratieren der Ausstellung ist Aufgabe der Auszubildenden. Hat das Stadtmuseum XYZ keinen eigenen Kurator? Nach einem kurzen Blick auf die Website des Museums wird klar, dass das Team nur aus einem Museumsleiter, einer Sammlungsleiterin, einem Sekretär sowie 2 Museumslehrerinnen besteht. Zwei Fachwissenschaftler und zwei Museumspädagoginnen stemmen also das komplette Museum, dass sich selbst als eines der „profiliertesten regionalgeschichtlichen Museen“ in der Umgebung bezeichnet.
Auch unter Punkt 2) Vermittlung und kulturelle Bildung werden alle Anforderungen gestellt, die eigentlich ein Museumpädagoge übernehmen muss. Gleiches gilt für 3) Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und 4) Archiv und Depot. Jeder dieser Bereiche benötigt eigentlich seine eigene Fachkraft.
Fassen wir einmal zusammen. Die beiden zukünftigen VolontärInnen am Stadtmuseum XYZ übernehmen die Aufgaben der Kuratoren, der Ausstellungsorganisatoren, der Museumspädagogen, der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit inkl. Social Media und sind letztlich auch für das Depot und Inventar des Museums verantwortlich. Sarkastisch könnte man Fragen ob die Bezirksverwaltung von XYZ nicht die ganze Belegschaft des kleinen Museums durch die beiden ersetzen möchte.
Der eigentliche Anlass dieses Beitrages ist die Unredlichkeit und Unehrlichkeit vieler Stellenangebote wie diesem hier, welches zwar ein besonders absurdes, dennoch nur eines unter vielen ist. Für den Einstieg in die Museumsarbeit ist ein Volontariat oftmals Pflicht. Ob es sinnvoll ist nach einem abgeschlossenen Studium und ggf. sogar einer Promotion eine weitere Ausbildung zu verlangen, möchte ich an dieser Stelle nicht diskutieren. Da dieser Streitfall mit Hinblick auf die Inhalte angebotener Studiengänge, bei denen Praxis oft zu kurz kommt, äußerst ambivalent diskutiert werden muss.
In diesem und in vielen weiteren Fällen übernehmen die Volontäre Aufgaben, die eigentlich ein fest angestellter Fachwissenschaftler am Museum übernehmen muss. Wie alle öffentlichen Einrichtungen sind Museen einem großen finanziellen Druck ausgesetzt und stehen ständig vor der Sisyphosaufgabe sich gegenüber der Gesellschaft und Öffentlichkeit, der sie verpflichtet sind, zu rechtfertigen und ihre Kosten zu legitimieren. Dennoch ist es wichtig, dass gerade Kultureinrichtungen ehrlich mit sich selbst und ihren Angestellten umgehen. Hier wird keine qualifizierte Ausbildung angeboten, sondern man will sein Haus von zwei Personen organisieren lassen, denen man für 100% Arbeit nur 50% Gehalt zahlen braucht. Damit sei nicht behauptet, dass das Stadtmuseum XYZ junge Menschen ausnutzen will, denn die Verantwortlichen in der Verwaltung müssen täglich einen harten Diskurs mit den Behörden um finanzielle Mittel führen und sind nun einmal an die Gelder gebunden, die ihnen genehmigt werden.
Einzig ein ehrlicher Umgang mit den Bewerbern und eine tatsächliche sinnvolle Ausbildung, wozu natürlich unter Anleitung auch alle in der Ausschreibung geforderten Aufgaben gehören können, wäre wünschenswert und sollte in einem Land, dass seine Kultur hoch schätzt eigentlich selbstverständlich sein.
[1] Da diese Plattform nicht der Diskreditierung dient wurden Namen und Orte geändert oder entfernt.
- Volontariat? Ja, aber fair! - 6. April 2017
Ich habe mich nach meinem Studium längere Zeit auf verschiedene Volontariate beworben, vor allem im Bereich Verlage / PR. Dabei habe ich auch krasse Sachen erlebt, weil es da nicht einmal eine tarifvertragliche Bindung gab.
Höhepunkt war ein Volontariat, bei dem die ersten 6 Monate komplett ohne jegliche Bezahlung laufen sollten, danach 600 €. Das wurde trotz konkreter Nachfrage nicht im Vorfeld gesagt, sondern erst, als man brav zum Vorstellungsgespräch quer durch die Republik angetingelt kam.
Bei den Museen kam es mir immer so vor, als wollten die eigentlich nur Volontäre, die bereits einen Doktortitel mitbrachten und Tag und Nacht zu arbeiten bereit waren.