Die Jubiläumsausstellung „1975/2015 – Schiffe erzählen Museumsgeschichte(n)“
Als Teilnehmerin von REGIALOG XVIII bin ich seit Juni 2015 im Deutschen Schiffahrtsmuseum Bremerhaven (DSM) unterwegs. Hier habe ich unter anderem die Gelegenheit, das Wirken einer besonderen Ausstellungskonzeption zu beobachten. Pünktlich zum 40. Geburtstag, den das Deutsche Schiffahrtsmuseum im September 2015 feierte, wurden einige der bekanntesten Exponate des Museums (zum Teil im wahrsten Sinn des Wortes) aufgemöbelt – Klassiker wie der begehbare Raddampfer MEISSEN, die legendäre Bremer Hansekogge aus dem Jahr 1380 oder das Kleinst-U-Boot SEEHUND aus dem Zweiten Weltkrieg werden nun mit Hilfe aufwändiger Medienstationen neu präsentiert. Das DSM, die Ausstellungsagenturen „Retrokonzepte“ aus Bremen und „Iglhaut + von Grote“ aus Berlin sowie die Lebenshilfe Bremen haben bei der Konzeption und Erarbeitung der neuen Präsentationsform kooperiert und insgesamt 12 Stationen an 12 Exponaten gestaltet. Ziel dieser Stationen ist es, allen BesucherInnen die jeweiligen Objekte und ihre Geschichten neu, spannend und informativ nahe zu bringen. Und allen „BesucherInnen“ heißt: Menschen mit Seh- oder Gehörhandicap, kognitiven Einschränkungen sowie Kindern und Erwachsenen, die keine der genannten Beeinträchtigungen aufweisen. Ob kurze Basis-Information oder wissenschaftliche Vertiefung – jede Art von Wissensdurst soll an den Stationen gestillt werden, bedarfsgerecht und unkompliziert. Unmöglich? Kuddelmuddel ohne roten Faden? Mitnichten!
Signalrot lackierte Seezeichen mit dem Namen der Ausstellung „1975/2015 – Schiffe erzählen Museumsgeschichte(n)“ lotsen die BesucherInnen im Scharoun-Bau, dem ältesten Gebäudeteil des DSM, von Station zu Station. Die erste Innenstation befindet sich im Foyer und rekapituliert die Museumseröffnung 1975. Wie an jeder Station finden sich hier drei Leittexte: in Deutsch, Leichter deutscher Sprache und Englisch. Blinde BesucherInnen verschaffen sich mit Tastmodellen und Texten in Braille zusätzlich Eindrücke der Ausstellungsaufteilung und der Route der Stationen. Wer mehr Zeit mitbringt, kann sich auf den der Station angeschlossenen Bänken und Stühlen niederlassen und per Knopfdruck und Hörmuschel auf mehreren Bildschirmen Dokumentationen über das Bremerhaven der 1970er Jahre und die Eröffnung des Museums anschauen, respektive anhören. Ähnlich verhält es sich an den weiteren Stationen im Erd- und Obergeschoss des Scharoun-Baus. Tasten, Hören, Sehen, Lesen, Sitzen – alles ist möglich und erwünscht. Insbesondere Fans der Hansekogge können mit vielen Interviewfilmen eine Menge zur Rezeptions- und Restaurierungsgeschichte des berühmtesten DSM-Exponats lernen oder gleich selbst einen Videokommentar hinterlassen.
Wer es medial eher klassisch mag, klappt an der gewählten Station eines der bereit gestellten Fachbücher aus der Museumsbibliothek auf. Deren Arrangement an den Stationen erinnert zugegebenermaßen ein wenig an Telefonbücher in Fernsprechzellen der 1970er Jahre, aber vielleicht ist dies, gemäß des Jubiläums und der damit einher gehenden Rückschau auf die eigene Museumsgeschichte, auch nicht ganz ungewollt. Und weckt die knallgelbe Farbe des Tastmodells zum U-Boot SEEHUND nicht doch musikalische Assoziationen mit den späten 1960er Jahren, als vielen jungen BremerhavenerInnen eher nach „All You Need Is Love“ als nach der öffentlichen Ausstellung von militärischen Seefahrzeugen aus dem Dritten Reich zumute war? Eine kleine Sammlung von Zitaten auf dem Bildschirm der Station nährt diese Vermutung.
Apropos Genitiv: Der ist aus den Leittexten in „Leichter Sprache“ getilgt. Die „Leichte Sprache“ als Mittel, kognitiv beeinträchtigten Menschen Zugang zu Wissen und Informationen zu erleichtern, findet im Rahmen umfassender Inklusionsbewegungen in Medien, Verwaltung, Schulen und vielen anderen Institutionen seit den 2000er Jahren zunehmend Verbreitung. Gute Sache, könnte man meinen. In den Museen Deutschlands ist die „Leichte Sprache“ derzeit noch nicht sehr oft anzutreffen. Wir TeilnehmerInnen diskutieren bei REGIALOG häufig über die Perspektiven der „Leichten Sprache“ und sind gespannt auf mögliche Anwendungen in Ausstellungsgestaltung, Vermittlung und Marketing. Nicht alle Museumsmenschen teilen diese Sympathie und stehen dem „Trend Leichte Sprache“ skeptisch gegenüber. „Verdummung“ statt Vermittlung? Absolut nicht. Negative Reaktionen waren diesbezüglich von Besucherseite her noch nicht zu beobachten. Die „Leichte Sprache“ ersetzt nicht den herkömmlichen Objekttext, sondern bietet eine zusätzliche Strategie zur Vermittlung musealer Inhalte. Während der Eröffnungstage moderierten MitarbeiterInnen des DSM die Stationen, animierten die BesucherInnen zum Ausprobieren und beantworteten Fragen zu Objekten und neuer Präsentation. Berührungsängste und Irritationen aufgrund der vielen Möglichkeiten einschließlich der unbekannten „Leichten Sprache“ konnten meist schnell abgebaut werden.
Das DSM befindet sich bekanntermaßen in einem Umbruchprozess. In den kommenden Jahren werden sich die Dauerausstellungen in den zwei Museumsgebäuden weiter wandeln. Bis dieser Prozess abgeschlossen sein wird, sorgt die vorerst auf unbestimmte Zeit installierte Jubiläumsausstellung für Abwechslung und Neugierde. Der Medieneinsatz wirkt in seiner Vielfalt und mit seinem ausdrücklichen Ziel der umfassenden Inklusion sicher auf manchen Besucher zunächst ungewohnt. Eine strenge thematische Fokussierung auf das einzelne Objekt und seine (Wirkungs-) Geschichte ist daher berechtigt und nötig. Exkurse und ironische Akzente sind sinnvoll und subtil eingebettet. Der Inklusionsgedanke wird nicht zaghaft-verschämt angedeutet, sondern umgesetzt. Für alle. Und es macht einfach unglaublich Spaß, „am Rad drehen“ zu dürfen – um historische Dias zu betrachten, versteht sich.
Eine Ausstellungspräsentation dieser Art kostet Geld, und davon viel. Als eines von acht Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft in Deutschland verfügt das DSM über Förderungen und Mittel, von denen viele Kultureinrichtungen weit entfernt sind. Es bleibt zu hoffen, dass kleinere Museen sich hiervon nicht abschrecken lassen, sondern sich auch an grundsätzlichen Möglichkeiten und der Bereitschaft zur inkludierenden Vermittlung Beispiele nehmen. Es lohnt sich.
Beitragbilder: Privataufnahmen der Autorin Katrin Schaper.
- Alarmstufe Rot oder wegweisende Präsentation? - 30. Oktober 2015