Die EUREGIO ist ein deutsch-niederländischer Regionalverbund, der sowohl wirtschaftlich, als auch touristisch und kulturell darum bestrebt ist, Grenzen abzubauen und Gemeinsamkeit zu bestärken. Unter dem Namen taNDem läuft dort von 2018 bis 2020 das INTERREG V A Projekt “Kunstverbinding – Kunstverbindung”. Hierfür haben die EUREGIO, Cultuurmij Oost, Münsterland e.V., Emsländische Landschaft e.V., die Stadt Osnabrück, der Landkreis Osnabrück und die Provinzen Gelderland und Overijssel ihre Kräfte gebündelt, um die Kunst- und Kulturszene im Grenzgebiet zu fördern und ein nachhaltiges deutsch-niederländisches Netzwerk aufzubauen.

In den Kunstbarcamps, großen Auftaktveranstaltungen, lernen sich deutsche und niederländische Künstler kennen. Beschließen einige von ihnen, gemeinsam grenzüberschreitend ein Kunstwerk oder eine Kunstaktion zu schaffen, können sie ihren Plan einreichen und Förderung in Höhe von bis zu 15.000 € erhalten. Jedes der drei Projektjahre trägt ein Oberthema, mit dem die Künstlertandems sich auseinandersetzen und welches sie künstlerisch verarbeiten. 2018 war das Oberthema „Heimat“. Jetzt, zu Beginn 2019 und nach erfolgtem Barcamp für das laufende Jahr (Thema „Energie“), kommen viele der 2018 begonnenen Projekte zum Abschluss.

Zum Thema „Heimat“ ließen sich unter anderem Ansgar Silies, der 2009 das Künstlerstipendium der Emsländischen Landschaft erhielt, und sein niederländischer Künstlerkollege Remco de Kluizenaar etwas Besonderes einfallen. Die beiden schufen eine Klangperformance mit dem Titel „Bodenschätze // Bodemschatten“. Beide beschreiben diese Aktion kurz als „klangarchäologische Reise durch die EUREGIO“ und machen sich dabei den unerwarteten klanglichen Reichtum ihrer Heimatregion zunutze. Entwickelt wurde das Konzept als eine Mischung aus Konzert, Storytelling und Theater. Sie greift die Geschichte der Region in vielerlei Hinsicht auf. Denn neben geologischen Aspekten spielen auch Fakten, wie der wirtschaftliche Untergang regionaler Industriezweige, eine tragende Rolle. Die dafür weitreichende Hintergrundrecherche macht das Projekt so besonders, denn es zeigt, wie engmaschig viele Punkte miteinander verknüpft ist.

Die begleitende Facebookseite @euregiosound haben de Kluizenaar und Silies mit verschiedenen Filmen und Bildern gespickt, die einen Einblick in ihre weitreichende Arbeit und die klanglichen Experimente bieten.

Aufgeführt wird Bodenschätze // Bodemschatten nur an drei verschiedenen Orten, die jeweils mit Teilen der Performanceinhalte in direkter Verbindung stehen. So wurde die erste öffentliche Aufführung im Nordhorner Kulturzentrum „Alte Weberei“ gegeben, aus deren Schaubeständen alte Spindeln mit in die Klangperformance eingebaut sind. Zwei Mal soll die Klangkunst in der ehemaligen Eisenwarenfabrik DRU, heute die DRU Cultuurfabriek, in Ulft (Region Achterhoek) erschallen. Töpfe der Firma DRU sind ebenfalls Bestandteil des Konzepts. Den Abschluss bildet ein Auftritt in der Katharinenkirche der Burg Bentheim am 10. März. Wo könnten die verschiedenen Klangkörper aus Bentheimer Sandstein besser zur Geltung kommen als in einem Gebäude aus eben diesem?
Auch in Bentheim wird es wieder „überraschend, humorvoll und poetisch“, wie die Klangreise von Silies und de Kluizenaar im Pressetext mit drei Schlagworten umrissen wird.

Ich selbst hatte die Möglichkeit, bei der Nordhorner Aufführung im Publikum zu sitzen. Vor Beginn der Performance gab es sicherlich keinen der rund 50 Zuhörer, die beim Anblick der illustren „Musikinstrumente“ aus unterschiedlichsten Materialien und dem technischem Equipment nicht davon überzeugt war, dass ihnen neben einem klanglichen auch ein optisch beeindruckendes Erlebnis bevorstand. Das kreative Rahmenkonzept des Duos überzeugte von Beginn an. Der künstlerische Spieltrieb war ausgeprägt. Aus einer der schnöden weißen Lampen, die alle der jeweils aktiven Klangstationen im ansonsten abdunkelt gehaltenen Raum erhellten, wurde erst einmal symbolisch ein Metalldetektor, der nach einiger Suche bei den DRU-Töpfen anschlug. Bewegen sich die beiden Künstler umher und wollen verdeutlichen, dass ein neuer Ort ins Spiel kommt, so erklingen aus kleinen Lautsprechern Navigationsangaben, die Teile des Wegs von A nach B angeben. Dazu kommt eine Anlehnung an Kraftwerks Stück „Autobahn“.

Im Verlauf der einstündigen Performance werden kurzerhand Backsteine zum Xylophon oder Eisentöpfe erschallen in ihrer Klangvielfalt, während ein Werbetext für DRU-Produkte vorgetragen wird. Selbst den Garnrollen werden unter anderem durch Aufsetzen eines Saxophonkopfes völlig ungeahnte Töne entlockt, verbindet man mit ihren doch mehr das laute Klackern und Surren der Spinnereimaschinen oder Webstühle. Mit eingebunden wird in die Klangwelt der „Heimat“ das für die Region typische Middewinterhorn.

Sprachlich kommen sowohl Niederländisch als auch Deutsch zum Tragen, doch die Inhalte sind deutlich genug um eventuelle Verständnisbarrieren zu überwinden. Gesprochene Begriffe beschreiben das „Klangland“ und die Bandbreite der Geräusche. Dass teilweise mehrere Generationen einer Familie in den großen Nordhorner Textilfabriken oder in der Ulfter Fabrik DRU gearbeitet haben, zeigen Arbeiterlieder, die an den jeweiligen Orten bekannt waren und die die Verbundenheit der Menschen mit der Industrie ihres Wohnortes zum Ausdruck bringen. Da liegt es nahe, diese Lieder als Teil der Performance einzubauen, gesungen und auf kleiner Lochkartendrehorgel. Bei mir und vermutlich auch bei anderen im Publikum wurde damit direkt ein Gefühl dafür wachgerufen, wie groß die Enttäuschung über die geplatzten bescheidenen Lebensträume bei den Arbeitern gewesen sein muss, als die Werke schlossen, mit denen sie sich bis ins Liedgut hinein identifiziert hatten. Am Ende wird erneut mit Navianweisungen und dazu einer indischen Sitar symbolisiert, wohin die Nordhorner Textilindustrie abgewandert ist.

Die Klangperformance, die Kunst, Musik, Geschichte und Regionalkultur miteinander verwebt, hat mich begeistern können und mich trotz meiner Kenntnisse um die Webereigeschichte Nordhorns oder den Bentheimer Sandstein mit viel neuem Wissen bereichert. Die große unerwartete Klangvielfalt meiner Heimatregion hat mich überrascht, denn nie zuvor hatte ich eine derartige klangliche Annäherung erfahren.

Für die letzte Aufführung am 10. März in der Katharinenkirche gibt es am Veranstaltungstag Tickets an der Burgkasse, Reservierungen können unter bodemschatten@gmail.com vorgenommen werden.

Birgit Baumann
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